Wertediskussion: Gastbeitrag meines Freundes Kurt Hemmerlein, der nicht locker lässt mit der Frage, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen

Werte, was sind das? Der Wert eines Gegenstandes, einer Leistung? Der Wert der Freiheit, des Lebens, der menschlichen Würde? Sind Werte wie Ehrlichkeit, Toleranz, Hilfsbereitschaft damit gemeint? Welchen Platz haben Freundschaft, Liebe, Nächstenliebe in unserer Gesellschaft? Fördern wir den Stellenwert dieser Werte? Wie unterschiedlich kann der Wert bestimmter Bereiche für den einzelnen sein? Wer krank ist, wird besonderen Wert auf ein gutes Gesundheitssystem legen. Familien mit Kindern auf das Bildungssystem. Anderen wieder ist der öffentliche Nahverkehr viel wert, Autofahrern die freie Fahrt, dem Hausbesitzer die Ruhe vor Fluglärm, dem Millionär der freie Finanzmarkt. Wo muss das eine beginnen, das andere enden? Sind das alles spezielle Dinge, die miteinander nichts tun haben? Haben sie das wirklich nicht? Ist es nicht vielleicht so, dass immer mehr Partikularinteressen in den Vordergrund gerückt werden (teile und herrsche?) und eine gesamtgesellschaftliche Sicht fehlt? Wenn aber immer nur das Detail betrachtet wird, kann eine Entscheidung, die für den speziellen Bereich richtig ist, trotzdem falsch sein. Wem die große Richtung fehlt, dem fehlt auch der Gradmesser für die kleinen Entscheidungen auf dem Wege. Wie heißt es so treffend: Wer nicht weiß, wohin er segeln möchte, für den ist kein Wind der richtige. Dies merkt man allerorten und in allen Bereichen. Umwelt, Verkehrspolitik, Jugendpolitik, Bildung, Gesundheit, Rente…

Es werden Ziele dargestellt, die offensichtlich gar nicht angestrebt werden, die wahren Gründe bleiben oft im Dunkeln.

 

Dafür einige Beispiele:

Solarenergie: Vor Jahren wurde beschlossen, die Erzeugung von “alternativer” oder erneuerbarer Energie durch Windkraftanlagen oder Photovoltaikanlagen umfangreich zu fördern. Wo aber waren die Berechnungen dafür, inwieweit sich solche Anlagen in unseren Breiten –immerhin der 53ste Breitengrad – rentieren? Welche Laufzeit braucht eine Anlage, um den für sie benötigten Kostenaufwand (auch Energie!) wieder einzuspielen und welche Möglichkeiten gibt es, die erzeugten Energiemengen geschickt zu verwerten, denn wenn ich nach Hause komme, Licht einschalte, koche, scheint die Sonne meist nicht mehr. Es gibt keine rentablen Speicher für die Energie…

 

Durch eine großzügige Förderpolitik – der Preis für die Abnahme der Solarenergie beträgt mehr als das Doppelte des Bezugspreises von Energie – entstanden zahlreiche Anlagen. Zu viele, wie man nun feststellte. Diese kosten zuviel Geld (eine andere Bewertung findet ja nicht statt). Also wird die Förderung zurück geschraubt. Was aus den vielen inzwischen entstandenen Firmen wird, die mit der Errichtung der Anlagen ihr Geld verdienen, wurde bei der jetzigen Entscheidung sicher nicht berücksichtigt. Denn wenn sich nicht, wie jetzt nach ca. 18 Jahren eine solche Anlage rentiert, wird auch keiner eine errichten und ohne die Förderung ist dies in unseren Breiten nun mal nicht der Fall. Wäre alles richtig benannt und bewertet, hätte es die Förderung vielleicht nie gegeben. Sollte aber die berechtigte Sorge vor einem Ende fossiler Energien ursprünglich dahinter gesteckt haben, müsste dann nicht ein viel umfangreicherer Aktionskatalog aufgestellt werden?

 

Abwrackprämie: Um die Wirtschaftskrise abzumildern, gab es in Deutschland die Abwrackprämie. Sie sollte auch dazu dienen, alte, unökologische Autos durch neue zu ersetzen und damit der Umwelt nützen. Doch fand dies wirklich statt? Ein Auto verbraucht während seiner durchschnittlichen Betriebszeit soviel Energie in Form von Treibstoff, wie zu seiner Herstellung erforderlich ist. Das bedeutet, dass sich die Energiebilanz eines jeden Autos verbessert (natürlich abhängig vom Kraftstoffverbrauch), umso länger es benutzt wird. Zumindest in einigen Regionen der USA (das Steuerrecht ist nicht einheitlich im Land) wird das Auto nach dem Zeitwert besteuert, d.h. für ein altes Auto zahlt man wenig Steuern und hat einen Anreiz, dies möglichst lange zu benutzen. Ist das nicht vielleicht ökologischer als unsere Abwrackprämie? Aber wir sollen ja möglichst schnell schon wieder als Beta-Tester auf E-Autos umsteigen. Wo die Elektroenergie herkommt ist uns doch egal…

Sollte man stattdessen, wenn es wirklich um die Umwelt geht, nicht ähnlich wie Dämmwerte für Häuser und Standby-Werte für Elektrogeräte auch Energieverbräuche für Autos verbindlich vorgeben? Auch hier gab es wieder nur einen kurzfristigen Effekt.

 

Flughafen, Bahnprojekte u.ä.:

Bei all diesen Bauvorhaben stellt sich immer die Frage der Notwendigkeit und des Nutzens. Jemand der in der Einflugschneise wohnt, nie verreist, ist halt nur Betroffener.

Genauso vorstellbar ist der umgekehrte Fall. Bedeutet das nicht, dass eine breite Teilhabe der Menschen auch eine höhere Bereitschaft für Einbußen an anderer Stelle erzeugt? Dazu kommt Ehrlichkeit, Offenheit in der Argumentation. Außerdem muss das Vorhaben insgesamt einen Schritt in die beabsichtigte vorher definierte Richtung darstellen (gegenteiliges Beispiel Ökosteuer auf Benzin und Diesel zur Rentenfinanzierung). Dann kann abgeschätzt werden, ob der Wert für die Gemeinschaft überwiegt oder die dadurch entstehenden Nachteile nicht hingenommen werden können. Atomenergie wäre hier auch ein gutes Beispiel.

 

Zuletzt noch zur EU.

Griechenland müsse seine Wirtschaft auf Vordermann bringen, wettbewerbsfähiger werden, dann würden auch die Probleme im Lande geringer werden. Würden sie aber vielleicht damit woanders – also durchaus auch bei uns – nicht größer werden? Woran fehlt es, wenn man den Supermarkt betritt, die Einkaufstempel? Auf welchen Gegenstand, den man bei Amazon bestellt, muss man länger als 3 Tage einschließlich Versand warten? Was soll also produziert werden und wozu? Müsste die Krise nicht vielmehr Anlass sein zu hinterfragen, was wir als Menschheit erreichen wollen und wozu? Muss es immer höher, weiter, schneller Wachstum sein, zumal jedem klar sein müsste, dass ein lineares Wachstum einen logarithmischen Anstieg der Produktion zur Folge hat, der irgendwann unnütz ist.

 

Die Beispiele könnte man zahlreich fortsetzen und sicher auch eine Hitliste der Widersprüchlichkeiten und des Irrsinns aufstellen. Aber zu einem grundlegenden Umdenken, einer neuen Bewertung unserer Ideale, zu einer Überprüfung, ob unser Weg der Richtige ist, führt es offensichtlich nicht.

So bleiben wir weiter im Zwiespalt mit uns selbst, können Verantwortlichkeiten delegieren oder zumindest von uns weisen.

Es würde gerade uns als Sozialdemokraten zustehen, diese Diskussion zu führen und in unsere Programme einfließen zu lassen. Anderenfalls wird das Diktat des Geldes, des Gewinnstrebens immer ungebremster die Richtung vorgeben, da hier die Definition des Weges einfach fällt und ebenso die Einschätzung, ob eine Entscheidung diesem Ziel dient oder nicht.

Kurt Hemmerlein