Wahlprüfsteine zur Behindertenpolitik
Gemeinsam mit Karin Sarantis-Aridas habe ich für die SPD folgende sechs Fragen des Berliner Behindertenverbandes zur Bundestagswahl 2013 beantwortet:
Frage 1:
Im Oktober 2008 waren 160.000 schwerbehinderte Menschen bundesweit arbeitslos. Im Oktober 2012 schon 173.000. Laut Arbeitsagentur ist der allgemeine Beschäftigtenstand jedoch seit der Wiedervereinigung noch nie so hoch gewesen. Schwerbehinderte können von dieser Entwicklung nicht profitieren. Was will ihre Partei dagegen unternehmen?
Um die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern, ist eine Vielzahl an Maßnahmen notwendig. Wir wollen:
- Das Budget für Arbeit stärken und die Arbeitsassistenz ausbauen
- Die Arbeitsstättenverordnung so ändern, dass mehr barrierefreie Arbeitsplätze entstehen
- Ausreichende Mittel für aktive Arbeitsförderung und barrierefreie berufliche Weiterbildung zur Verfügung stellen
- Die Durchlässigkeit zwischen Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbessern
- Tarifpartner, Job-Center und Arbeitsagenturen stärker in die Pflicht nehmen
Frage 2:
Im März 2009 trat die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Kraft. Ist ihrer Meinung nach die Umsetzung gelungen? Sehen Sie noch Nachholbedarf und falls ja, wo?
Wir sehen deutlichen Nachholbedarf. Der bisher vorgelegte Aktionsplan ist unzureichend, er besteht zum großen Teil aus Absichtserklärungen. Es fehlen klare Zeitvorgaben und vor allem Angaben zur Finanzierung.
Die Entwicklung eines Aktionsplanes im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention muss inklusiv und gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen nach dem Motto „Nichts über uns ohne uns!“ erfolgen.
Baunormen müssen zukünftig tatsächlich Barrierefreiheit sichern, Verstöße sanktioniert werden. Barrierefreiheit darf nicht nur für mobilitätseingeschränkte, sondern auch für seh- und hörbehinderte Menschen in allen Lebensbereichen gelten.
Das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderungen und Beeinträchtigungen ist unser Ziel. Wir brauchen deshalb Orte und Gelegenheit für Begegnungen, für gemeinsames Arbeiten, Lernen und vieles mehr – so genannte inklusive Sozialräume mit inklusiven Betreuungs- und Bildungseinrichtungen, Schulen, Universitäten, Einrichtungen der Erwachsenenbildung und Sportvereine sowie die selbstbestimmte Wahl des Wohnorts und der Wohnform. Neben Arbeitsassistenten sollen Freizeitassistenten Menschen mit Behinderungen unterstützen.
Frage 3:
Forderung: Die Einführung eines steuerfinanzierten, einkommens- und vermögensunabhängigen Teilhabegeldes für Menschen mit Behinderung ist ein zentraler Schritt auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe. Unterstützt ihre Partei diese Forderung und steht es auf der Agenda für die kommenden vier Jahre?
Ein vermögensunabhängiges Teilhabegeld ist eine wesentliche Forderung des SPD-Wahlprogramms. Wir wollen ein flexibles und passgenaues Unterstützungssystem für Teilhabe, Gleichstellung und Selbstbestimmung behinderter Menschen. Wir wollen ein für alle Sicherungssysteme und Leistungsträger einheitliches Bedarfsermittlungssystem schaffen. Damit sollen individuelle Beeinträchtigungen von Menschen erkennbar und tatsächliche Hilfebedarfe ermittelt werden. Der Anspruch auf Hilfe zur Inklusion wird nicht mehr als Fürsorgeanspruch, sondern als Anspruch zum Ausgleich von Nachteilen ausgestaltet. Finanzielle Leistungen müssen unabhängig von Einkommen und Vermögen sein. Das persönliche Budget ist eine geeignete Leistungsform für selbstbestimmte Teilhabe. Wir werden ein Bundesleistungsgesetz schaffen, das der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention dient und die Eingliederungshilfe in ihrer bisherigen Form ablöst.
Frage 4:
Barrierefreiheit ist für mobilitätseingeschränkte Personen enorm wichtig. Der Berliner Behindertenverband e.V. ist der Meinung, dass in diesem Bereich noch Nachholbedarf besteht. Wie steht ihre Partei dazu?
Wir sehen Nachholbedarf auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Die Bahn muss verpflichtet werden, alle Bahnhöfe und alle Verkehrsmittel barrierefrei zu gestalten. Der ÖPNV muss in allen Städten und Gemeinden barrierefrei sein.
Im öffentlichen Personenverkehr muss sich Barrierefreiheit auf die gesamte Reisekette beziehen. Es reicht nicht aus, Haltestellen barrierefrei zu gestalten, sondern der gesamte Weg von der Haustür bis zum Ziel muss für mobilitätseingeschränkte Menschen zugänglich sein. In der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung sind verbindliche Standards für die Erstellung und Fortschreibung von Eisenbahnprogrammen zur Schaffung von Barrierefreiheit bei Bahnanlagen und Schienenfahrzeugen festzulegen.
Das Luftfahrtbundesamt soll hinsichtlich der Einhaltung der Rechte von Menschen mit Behinderung im Flugverkehr die Überwachung intensivieren. Die Praxis sogenannter Billigairlines, Menschen mit Behinderung pauschal zurückzuweisen, ist konsequent zu unterbinden.
Auf europäischer Ebene brauchen wir Mindeststandards für die barrierefreie Gestaltung von Flugzeugen.
Frage 5:
Was ist im Bereich Behindertenpolitik das wichtigste Vorhaben für die kommende Legislaturperiode für Ihre Partei?
Die Reform der Leistungsgesetze der Eingliederungshilfe, siehe Frage 3. Nicht weniger wichtig: Von der Kita bis zur Erwachsenenbildung ist Inklusion für uns ein grundlegendes Prinzip und integraler Bestandteil in allen Bildungseinrichtungen. Unser Ziel ist es, gleiche Bildungschancen und ein Recht auf Teilhabe für alle Kinder und Jugendlichen zu schaffen.
Die SPD wird das Wahlrecht für alle durchsetzen. Viele Menschen mit Behinderung verfolgen das politische Geschehen, doch nicht alle von ihnen dürfen wählen. Menschen mit einer rechtlichen Betreuung zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten gem. § 13 Bundeswahlgesetz vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Dies verstößt gegen Völkerrecht und gegen die Behindertenrechtskonvention.
Frage 6:
Behindertenpolitik ohne die Einbeziehung der Betroffenen ist wie Frauenpolitik ohne Frauen. Welche Vertreter/innen aus der Behindertenbewegung kandidieren auf ihren (aussichtsreichen) Listenplätzen für den nächsten Bundestag?
In der Berliner SPD gab es in diesem Jahr leider keine Kandidaturen von Menschen mit Behinderungen für den Bundestag. Dies wollen wir ändern und werden dazu die Inklusion und die Bedingungen für politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung innerhalb der Partei stärken. Ein wichtiger Schritt war es, dem Netzwerk Selbst aktiv innerhalb der SPD den Status einer Arbeitsgemeinschaft mit den damit verbundenen weitreichenden Rechten zuzuerkennen. Wir laden Menschen mit Behinderungen herzlich ein, bei uns Mitglied zu werden, Politik selbst zu gestalten und für wichtige Ämter zu kandidieren.