Stolpersteineinweihung für Willi Klüsener
Am 26.04.10 durfte ich bei der Stolpersteineinweihung für Willi Klüsener dabei sein. Gestiftet wurde dieser Stein von den Lichtenberger SPD-Mitgliedern Kathrin Söhnel und Gerry Tannen. Die Reden lohnt es nachzulesen, deshalb seien sie auf meiner Homepage dokumentiert.
- Lage des Stolpersteins
- Rede zum 65. Todestag von Willi Klüsener von Hans-Rainer Sandvoß
- Rede zur Einweihung des Stolpersteins für Willi Klüsener am 26.04.2010 von Kathrin Söhnel
- Bilder
Lage des Stolpersteins
Rede zum 65. Todestag von Willi Klüsener von Hans-Rainer Sandvoß
am Stolperstein vor seinem letzten Wohnort: Grünberger Straße 6
Liebe Kathrin Söhnel, lieber Gerry Tannen,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder der SPD,der berühmteste deutsche Nachkriegsfilm trug den bezeichnenden Titel „Die Mörder sind unter uns“. Diese Aussage – so sehr sie „historisch-biologisch“ fast überholt sein mag – ist zu einer festen Erfahrung ja, zu einem geflügelten Wort geworden.
Aber trifft nicht die folgende Erkenntnis dagegen noch immer voll zu?
„Die Opfer sind unter uns“
Ich meine das nicht in jenem verallgemeinernden Sinne des angesehenen Autors und deutschen Chronisten Walter Kempowski („Echolot“), der häufig von den „lieben Toten“ sprach, wenn er pauschal die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft meinte.
Nein, ich denke als Historiker dabei vor allem an die vergessenen Opfer des „Widerstandes von unten“ der Jahre 1933 bis 1945. Und hierzu zählten nicht zuletzt die Anhänger der SPD, der ältesten deutschen Freiheitspartei, die im Jahre 2013 bereits 150 Jahre alt wird.
War es jahrzehntelang in Deutschland nicht so, dass in beiden deutschen Staaten des Widerstandes höchst einseitig gedacht wurde? Ehrte man in der DDR nicht vor allem die KPD als angeblich allein konsequente Vertreterin der Arbeiterbewegung, während in der Bundesrepublik sich das Gedenken (nicht minder selektiv) auf den bürgerlich-militärischen Widerstand und das Wirken von Kirchenvertreter konzentrierte?
Das historisch-politische Gedenken in Fragen des Widerstandes hatte in beiden deutschen Staaten eine Schlagseite und zwar zu Lasten der Republikaner und Sozialdemokraten sowie zu Lasten der unorganisierten „kleinen Leute“.Ich kann mich noch gut an meine eigene Zeit als Oberschüler (1967-1969) in West-Berlin erinnern, als ich auf meine Frage, ob nicht auch Arbeiter Widerstand geleistet hätten, von der konservativen Geschichtslehrerin die Antwort erhielt: „Das kann ja sein, Rainer, aber es steht nicht im Lehrplan!“
Wie begeistert war ich damals daher, als der erste sozialdemokratische Bundespräsident Gustav Heinemann (1969-1974), zu dessen Vorfahren Revolutionäre von 1848 zählten, die Jugend aufforderte, nach den revolutionären und demokratischen Wurzeln der deutschen Geschichte zu forschen.
Ganz in diesem Sinne setzte ich mich (nach Abschluss des Studiums) in der Widerstandsgedenkstätte in der Stauffenbergstraße dafür ein, eine Schriftenreihe zum Widerstand in Berlin in Angriff zu nehmen. Die ersten Veröffentlichungen dazu erschienen in den 80er Jahren.
Doch erst nach dem Fall der Mauer und dem ungehinderten Zugang zu Gerichtsakten, Verfolgtenunterlagen und Zeitzeugenaussagen konnte die Schriftenreihe ihr Ziel, den Widerstand in ganz Berlin zu erforschen und (populärwissenschaftlich) darzustellen, ausreichend quellenfundiert in die Tat umsetzen.
Als ich Mitte der 90er Jahre den sogenannten roten Berliner Osten – darunter verstand man bis 1933 die beiden linken Arbeiterbezirke Friedrichshain und Lichtenberg – in den Blick nahm, stellte ich zu meiner eigenen Überraschung fest, dass ich auf die große Hochburg der SPD der Weimarer Republik gestoßen war. Nirgendwo sonst fand ich (wie hier) so viel unentdeckten Arbeiterwiderstand und Widerstand aus den Reihen der Sozialdemokratie, die damals vor allem eine Partei der (gewerkschaftlich organisierten) qualifizierten Facharbeiter war. Und gerade diese soziale Schicht hat sich – im Gegensatz zur großen Mehrheit des Bürgertums und Adels sowie im Gegensatz zur ultralinken Generallinie der KPD („Hauptfeind SPD“) – für die Weimarer Republik mit großer Opferkraft eingesetzt.
Nach der Zerschlagung der Arbeiterbewegung (1933) verteilten frühere Funktionäre illegal den „Proletarischen Pressedienst“, den „Vorwärts“ (gedruckt in Prag) oder den „Roten Stoßtrupp“ und riefen zum Sturz der Diktatur sowie zum Kampf für die Freiheitsrechte auf.
Welche andere Partei kann auf eine solche Tradition blicken?Allein in Lichtenberg – einem Bezirk, der damals vom Boxhagener Viertel bis nach Mahlsdorf (Stadtrandsiedlung) reichte – zählte die SPD vor 1933 rund 7.000 Mitglieder. Und sie war die stärkste kommunalpolitische Kraft.
Viele ihre treuen Anhänger standen in Opposition zum NS-Regime; eine Minderheit wagte sogar den Untergrundkampf, geriet in Haftanstalten und Konzentrationslager.
Von dem führenden Vertretern der Lichtenberger SPD ließen zwei ihr Leben im Widerstand gegen die Diktatur, beide waren Stadträte, nämlichder Kreisvorsitzende Fritz Thurm, der 1937 an den Folgen
schwerer Gestapo-Misshandlungen verstarb, und
der Bestattungsredner Willi Klüsener, der am Kriegsende
im Zuchthaus Hameln ums Leben kam.
Beide erhielten jüngst „Stolpersteine“ vor ihren letzten Wohnorten:
Fritz Thurm (gesponsert von Marion Goers) in der Kreutzigerstraße 28 und
Willi Klüsener (gesponsert von Kathrin Söhnel und Gerry Tannen)
in der Grünberger Straße 6 in Friedrichshain. Letzteren ehren wir heute:Willi Klüsener (1880-1945) – 1933 aufgrund der „Säuberungen“ des Öffentlichen
Dienstes entlassen war als Beerdigungsredner schon Mitte der 30er Jahre ins Visier der Gestapospitzel geraten, weil er wiederholt bei Beisetzungen verfolgter Genossen sprach und dadurch politisch verdächtig wurde.
Er erhielt schließlich 1943 Redeverbot für das Krematorium Baumschulenweg – jenen Ort, wo 1936 weit über 6.000 Menschen und selbst im dritten Kriegsjahr 1942 noch 1.000 bis 3.000 Menschen bei der Beisetzung verfolgter Genossen zusammenkamen. (Im letzten „Fall“ handelte es sich um Berlins SPD-Vorsitzenden Franz Künstler, der an den Folgen schwerer KZ-Haft und faktischer Zwangsarbeit verstarb.)
Aufgeschreckt von dieser Zusammenballung gesinnungstreuer Sozialdemokraten sprach selbst die überraschte Gestapo von einem „stummen Protest“ bzw. einer „stillen Demonstration“.Auch Klüsener nutzte (wie Franz Künstler) Trauerreden zur versteckten Kritik am Hitler-Regime und am Wahnsinn des Krieges. Doch 1943 wagte er sich offensichtlich zu weit vor, als er gegenüber Sargträgern privatim im Krematorium Wilmersdorf äußerte:
„Deutschland müsse den Krieg verlieren und darauf müssen wir hinarbeiten.“
Und er sagte auch, das Unglück Deutschlands begann bereits mit der Verherrlichung der Kriege Friedrichs des Großen. (Ähnlich analysierte nach dem Krieg der angesehene Historiker Friedrich Meinecke in seinem Werk >Die deutsche Katastrophe
Klüseners o.g. Äußerungen wurden denunziert; es folgte eine Anklage vor dem Berliner Kammergericht und am 30. Oktober 1944 die Verurteilung zu drei Jahren Zuchthaus wegen „Wehrkraftzersetzung“. Der 65-Jährige würde diese Haft nicht überleben.Es sei zum Schluss noch ein Nachtrag gestattet, der ein bezeichnendes Licht auf Klüseners Charakter wirft:
Am 9. September 1998 – wenige Wochen nach Erscheinen des GDW-Schriftenbandes über Friedrichshain/Lichtenberg, in dem eine Zeitzeugin an Klüseners Wirken und seinen Tod erinnert – rief mich, emotional sehr aufgewühlt, eine 83jährige alte Dame und Zeitzeugin an und berichtet aus eigenem Erleben über eine unvergessene Begegnung mit Klüsener 1943.
Sie saß damals schon mehrere Jahre wegen Widerstandes für die KPD im Zuchthaus, als ihr sozialdemokratischer Vater, der Lichtenberger Gewerkschaftler Arthur Lipke verstarb. Als seine Tochter bekam sie für die Beerdigung wenige Tage „Hafturlaub“. Einen Tag vor der Trauerfeier in Berlin angekommen, rief sie – aufgrund eines Tipps eines alten SPD-Anhängers – Willi Klüsener an und bat ihn darum, am nächsten Tag zu sprechen.
Er willigte sofort ein, erbat nur noch ein paar Angaben.
Die o. g. Zeitzeugin Margarete Forszpaniak (1915-2008) erinnert sich 1998 an die Beisetzung in Friedrichsfelde: „Klüsener sprach sehr eindrucksvoll in der Feierhalle, sagte sehr deutliche Worte der Kritik, sprach aber auch verklausuliert, wenn er sagte: ’Die Maurer waren immer vernünftige Kerle und wollten stets das Beste!’
Wegen Klüseners Aussagen bekam ich direkt Angst, falls der Redner beschattet würde. Als alles vorbei war, ging ich zu ihm, um mich zu bedanken und sagte dabei: ’Da ich für den Erhalt des Friedens gekämpft habe, kam ich ins Zuchthaus und erhielt nur für die Beisetzung Hafturlaub!’ Daraufhin packte er mich an den Schultern, zitterte und sagte: ’Das kann doch nicht sein!’
Aus Sicherheitsgründen gingen wir dann auseinander. Als ich den Friedhof verließ, wartete er draußen, und wir verabredeten uns für den Abend. Er brachte dann ein großes Esspaket (trotz der Lebensmittelnot, R.S.) mit und befragte mich zu meinen Erlebnissen.
Als ich dann wieder ins Zuchthaus zurückgekehrt war, war ich ganz aufgewühlt von seiner Rede und Anteilnahme!
Nach dem Krieg suchte ich vergeblich nach ihm, selbst die Einwohnermeldestelle antwortete: ’Nicht auffindbar!’ Erst jetzt (1998) weiß ich von seinem Schicksal durch Ihr Buch, dass an seinen Mut erinnert.“Heute vor 65 Jahren, kurz vor seinem 65. Geburtstag, verstarb dieser Freigeist im Haft-Lazarett des Zuchthauses Hameln, vermutlich völlig entkräftet durch vorausgegangene Zwangsarbeit in einem Lager bei Bergen-Belsen.
Kein Foto ist von ihm überliefert, nichts erinnerte im Stadtbild bisher an seinen Weg. Das meinte ich eingangs mit dem Satz: „Die Opfer sind (unerkannt) unter uns.“
Ich danke Kathrin Söhnel und Gerry Tannen dafür, dass nun endlich sichtbar ein Stolperstein vor seinem Wohnhaus seinen Namen und sein Schicksal festhält. (Über 2.000 dieser Stolpersteine gibt es bereits in unserer Stadt.)
Mögen Hausbewohner und Passanten, aber nicht zuletzt auch die Sozialdemokraten ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Denn hier lebte ein mutiger Demokrat und Humanist, der nicht erst 1943/44 in Opposition zur Diktatur stand, sondern vor und nach 1933 für die Menschen- und Freiheitsrechte Aller eintrat.
Rede zur Einweihung des Stolpersteins für Willi Klüsener am 26.04.2010 von Kathrin Söhnel
Wir verneigen uns heute vor Willi Klüsener als Helden des Widerstands gegen die Nazi Barbarei. Willi Klüsener musste seinen Mut mit dem Leben bezahlen. Was war er für ein Mensch? Wie war er als Persönlichkeit? Laut? Leise? Groß? Klein? Wir wissen es nicht, Bilder oder gar Tondokumente sind nicht überliefert.
Sicher war er als Beerdigungsredner ein guter Rhetoriker, war vertrauenswürdig, willensstark und wohl auch versehen mit einem Schuss Humor und Gewitztheit. Sicher war er und musste es sein ein Meister der doppeldeutigen Sprache. Eine Sprache, die wir, die in der DDR groß wurden, leider auch zu gut beherrschen gelernt haben.
Was bewegte Frauen und Männer, ihre sozialen Status, Sicherheit, Gesundheit und letztlich ihr Leben und oft auch das ihrer Familien und Lieben für ihre Überzeugung zu riskieren? Dafür einsam und isoliert von der übrigen Welt zu sein und nicht zu wissen, ob und wann sich ihre Träume jemals erfüllen werden?
Wie häufig mag sich Willi Klüsener gefragt haben, ob sein Kampf Sinn macht? Ob es nicht doch ungefährlicher ist, sich in die innere Emigration zurückzuziehen, irgendwie weiterzuleben und zu überleben? Hat er nicht genauso am Leben gehangen, wie wir alle es tun? Was war das für ein System, wo aufmüpfige Trauerreden letzten Endes zum Tode führten?Wie schwer oder wie leicht ist es heute, aufrecht und sich selbst treu zu sein, für Gerechtigkeit einzutreten und dabei auch den Mut zur Niederlage zu haben? Gehört auch in unserem Leben Mut dazu, seinen Überzeugungen zu folgen, ohne Angst vor Berufsverboten, Diskriminierung, Einsamkeit, Haft, Tod? Ist man heute bereit, seine persönliche Ruhe, berufliche Karriere und soziale Sicherheit für politische Überzeugungen ernsthaft zu riskieren? Zu einer Zeit, wo politische Funktionen an sich ein Karriereziel sind? Schafft man es, allein gegen einen Strom zu schwimmen, um der eigenen Überzeugung willen? Wie kann man sicher sein, in der heutigen Medienwelt zu erkennen, was richtig oder falsch ist?
Aufgewachsen in der DDR, weiß ich, wie schwer es ist, zwischen Losungen und Propaganda die Wahrheiten zu erkennen. Und noch schwerer, für diese dann auch einzustehen.
Nicht vergessen sollten wir, dass auch in unserer Zeit und auch in den sogenannten Zivilgesellschaften Menschen für ihre Überzeugung ermordet werden. Stellvertretend für viele denke ich an Anna Politkowskaja und Nastalja Estemirowa. Sie waren russische Journalistinnen im Kampf für die Wahrheit im Tschetschenienkrieg. Ich denke an Hrant Dink, Journalist, Armenier und türkischer Staatsbürger, der sich für das Bekenntnis der Türkei zum Völkermord an der armenischen Bevölkerung einsetzte. Ich denke an den niederländischen Regisseur Theo van Gogh, der sich in einem Film mit der Unterdrückung von Frauen im Islam auseinandersetzte. Ich denke an die Opfer von Stalinismus und Diktaturen in Osteuropa. Ich denke an die mutigen Dissidenten in China und an die politischen Häftlinge in den Diktaturen dieser Welt. Ich denke an die vielen Helden der grünen Revolution im Iran.
Indem wir ihrer aller gedenken, ehren wir auch Willi Klüsener.
Bilder
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