SPD-Sommerfest/Verleihung des Frieda-Rosenthal-Preises
Unter großer Anteilnahme der Lichtenberger Bevölkerung hat die SPD Lichtenberg am 10. September ihr Sommerfest gefeiert. An der Veranstaltung auf dem neu gestalteten Stadtplatz am Theater Karlshorst nahmen etwa 100 Gäste, darunter die Senatorin für Justiz, Gisela von der Aue, teil. Der anwesende Kulturstaatssekretär Andre Schmitz gab in seiner Rede seiner Freude Ausdruck, dass Karlshorst durch die Sanierung des Theaters und mit der gelungenen Gestaltung des neuen Stadtplatzes endlich wieder ein attraktives Ortsteilzentrum erhalte.
Im Mittelpunkt des Sommerfestes stand auch in diesem Jahr die Verleihung des Frieda-Rosenthal-Preises. Preisträger war in diesem Jahr der Theologe und Musiker Olaf Ruhl. Die Stifterin des Preises, Birgit Monteiro (MdA) betonte in ihrer Laudatio besonders das Engagement des Preisträgers im Lichtenberger Bündnis für Demokratie und Toleranz.
Die SPD Lichtenberg freut sich über ein gelungenes Sommerfest und insbesondere über das große Interesse der Lichtenbergerinnen und Lichtenberger.
Einleitungstext: SPD-Lichtenberg.de (Abgerufen am 17.09.2010)
Laudation von Birgit Monteiro
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde, sehr geehrter Olaf Ruhl!
Preise, gibt es wie Sand am Meer. Preise, die jeder kennt….
Den Literaturpreis, Buchpreis, Goethe-, Heine-, Bachmannpreis, Preis des Mittelstandes, Willy-Brandt-Preis, Regine-Hildebrandt-Preis, Leo-Baeck-Preis, Preis des Deutschen Buchhandels und auch den Preis des deutschen Stahlhandels, Ehrenamtspreis, Generationenpreis….
Deutschland – Land der Preisträger und Preise….Zusätzlich zu diesen vielen Preisen habe auch ich einen Preis gestiftet. War das nötig?
JA, das war nötig.
JA, dieser Preis ist notwendig…
- um auch die Leisen zu ehren
- die Unauffälligen, die sich nicht in den Mittelpunkt stellen
- die Beharrlichen, die jeden Tag das tun, was wir als das Normale ansehen…
- Menschen, die unsere Gesellschaft tragen…
Auch die leisen Momente des Alltags verdienen es, geehrt zu werden…
Kennen Sie den Frieda-Rosenthal-Preis? Kennen Sie Frieda-Rosenthal?
Sie wurde 1891 in Berlin geboren, war Näherin von Beruf, heiratete, arbeitete bis nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in einer Kleiderfabrik. Sie war im Amt für Sozialfürsorge in Lichtenberg und beim Magistrat tätig, studierte an der Wohlfahrtsschule, wurde Fürsorgerin. 1933 gehörte sie mit zu den ersten, die von den Nazis aus dem Bezirksamt entlassen wurden. Sie war zunächst arbeitslos und arbeitete seit November 1933 wieder in ihrem alten Beruf als Näherin. Und immer war Frieda Rosenthal auch politisch engagiert, in verschiedenen Parteien, in der Bezirks- und Stadtverordnetenversammlung.
Frieda Rosenthal war keine Genossin, wie sie im Parteibuch steht. Dazu hat sie zu oft die Partei gewechselt, vor allem, um sich selber treu bleiben zu können.
Sie war eine Wanderin. Immer auf der Suche.
In der USPD, KPD, SPD, SAP….
Frieda Rosenthal nahm kein Blatt vor den Mund. Sie handelte sich nach 1925 eine Anzeige wegen Beleidigung des Reichspräsidenten Hindenburg ein. Sie hatte ihn, den Verantwortlichen für das Massenmorden im Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite, einen Massenmörder genannt.
Sie wollte radikal sein und Schuldige beim Namen nennen. Sie sah aber auch die soziale Not in ihrer unmittelbaren Umgebung und Tag für Tag während ihrer Arbeit als Fürsorgerin. Sie begriff, dass radikale Sprüche wenig hilfreich waren, um die alltägliche Not zu lindern.
Als die KPD 1929 unter der Überschrift „Kampf dem Sozialfaschismus“ die Sozialdemokratie zum Hauptfeind erklärte, der gefährlicher sei als die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler, war für Frieda Rosenthal eine Grenze überschritten. Gemeinsam mit sechzig anderen Berliner KPD-Mitgliedern kritisierte sie in einem „Offenen Brief“ die irrwitzige Politik der KPD-Parteiführung und wurde aus der Partei ausgeschlossen.
Sie war danach zunächst parteilos, dann für kurze Zeit Mitglied der SPD, in der SPD jedoch unzufrieden mit deren Stillhaltepolitik. Sie gehörte zu den linken Sozialdemokraten, die ihre Partei vehement kritisierten und schließlich 1931 eine eigene Partei gründeten, die Sozialistische Arbeiterpartei, die SAP, der auch Willy Brandt angehörte.
Als 1933 die Nazis die Macht ergriffen, wartete Frieda Rosenthal nicht auf die Order irgendeiner Partei zum Widerstand. Zusammen mit anderen Genossinnen und Genossen, sowohl ehemaligen als auch noch aktiven Parteimitgliedern der KPD, begann sie mit dem aktiven Widerstand gegen die Nazi-Diktatur. Die Zusammenarbeit in der Illegalität war nicht leicht, die alten Wunden aus dem Streit um die richtige Linie noch zu frisch. Und trotzdem: der Widerstandswille einte.
Die Gruppe um Frieda Rosenthal verfasste Flugblätter und verbreitete sie, so gut es ging. Für die Gestapo war Frieda Rosenthal später die politische Leiterin der KPD-Gruppe Friedrichshain.
In der Mitte des Jahres 1936 gelang es der Gestapo, viele kommunistische Widerstandsgruppen zu zerschlagen. Dazu gehörte auch die Gruppe aus Friedrichshain.Frieda Rosenthal wurde am 19. August 1936 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verhaftet und in strenge Einzelhaft genommen. Die Gestapo ordnete an, Frieda Rosenthal isoliert zu halten und verweigerte ihr jegliche Schreib- und Sprecherlaubnis. Sie wurde in brutaler Weise verhört, weigerte sich aber standhaft, Namen ihrer Mitgenossen zu nennen. Als sie glaubte, eine Genossin belastet zu haben, weil sie zugab, sie zu kennen, widerrief sie ihre Aussage. Sie fürchtete aber, dass der Widerruf ohne Wirkung bleiben würde und erhängte sich am selben Tag, dem 15. Oktober 1936, am Heizkörper ihrer Zelle.
Oft fragte ich mich, wie ich mich in ähnlichen Situationen verhalten würde. Und ich finde keine zufriedenstellende Antwort. Ich fühle mich Frieda Rosenthal und ihrem keineswegs geradlinigen Lebensweg sehr verbunden.
Die Übernahme der Patenschaft über den Stolperstein für Frieda-Rosenthal an ihrem ehemaligen Wohnort in der Fanninger-Straße 53 und die jährliche Verleihung des Frieda-Rosenthal-Preises sind mein Beitrag, ihren Namen und ihren mutigen Widerstand nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Und außerdem wünsche ich mir, dass der Frieda-Rosenthal-Preis die Menschen, die diesen Preis erhalten, etwas mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt, dass er zeigt, dass jeder von uns etwas für unser demokratisches Gemeinwesen tun kann.Warum bekommt man einen Preis? An welche Menschen wird der Frieda-Rosenthal-Preis verliehen?
Müssen das Helden sein? Nein!
Der Frieda-Rosenthal-Preis wird verliehen wir besonderes Engagement für das Gemeinwesen.
Der Preisträger im Jahr 2010 ist Olaf Ruhl.
Warum bekommt Olaf Ruhl den Preis?
Weil er sich einmischt.
Weil er nicht still ist.
Weil er die Dinge beim Namen nennt. Gute und schlechte.
Weil er sich nicht einschüchtern lässt, weil er in seinem Kiez, dem Weitlingkiez Gesicht zeigt.
Weil er einen eigenen Kopf hat.
Weil er frei im Denken ist, unangepasst.
Weil er ein Mensch ist, der sein Handeln als normal ansieht und nicht als außergewöhnlich.
Weil er so ist wie viele. Und zugleich ein Besonderer, ein ganz besonderer Mensch.Wer ist dieser Mensch? Wo kommt er her?
Olaf Ruhl wurde 1964 in Nordrhein-Westfalen geboren. Er ist ein Wanderer. Er lebte, studierte, arbeitete an so vielen Orten.
- Dormagen
- Lohmar
- Siegburg
- Marburg
- Sheffield
- Wuppertal
- Wiesbaden
- Düren
- Sulzbach (Saar)
- Dudweiler
- Saarbrücken
- Bonn
- Eberfeld
- Berlin-Tegel und Frohnau
- Berlin-Prenzlauer Berg
- Schwante
- Templin
- Berlin-Lichtenberg
Die Liste ist bei weitem nicht vollständig…
Seit 6,5 Jahren lebt er in Lichtenberg.
Ist er nun angekommen? Hier zu Hause?
Der Achteljude, wie er sich manchmal selbst nennt, seine Urgroßmutter war Jüdin.
Der ordinierte Theologe.
Der Sänger jüdischer Lieder, der Latein, Englisch, Französisch, Althebräisch, Altgriechisch und jiddisch spricht.
Der Dozent für die Geschichte der Weltreligionen an den Berliner Volkshochschulen.
Das Mitglied – vielleicht DER Individualist – im Lichtenberger Bündnis für Demokratie und Toleranz.Ich kenne Olaf Ruhl seit dem Herbst 2008. Wir lernten uns bei der Eröffnung der Stolpersteinausstellung in der Kiezspinne kennen. Er sang u.a. Donna, Donna, ein jüdisches Lied, dessen Bedeutung sich nicht so ohne weiteres erschließt. Es erzählt von einem Kälbchen, das sich nicht dagegen wehrt, zur Schlachtbank geführt zu werden…
Frieda Rosenthal hatte sich gegen die Nazis gewehrt, mit Kraft und Mut
Olaf Ruhl sang, ich stellte „meinen“ Stolperstein für Frieda Rosenthal vor. Seitdem begegnen sich unsere Wege immer wieder.
Denn Olaf Ruhl singt jüdische Lieder bei Veranstaltungen und Festen, die das friedliche Miteinander der Menschen zum Ziel haben.
Er versteckt sich nicht.
Er engagiert sich in den Fragen unserer Zeit:
- für den Erhalt der Schöpfung, gegen Gentechnik
- für gerechten Handel
- für kulturelle und religiöse Bildung
- für Demokratie und Toleranz
Das Singen jüdischer Lieder ist für Olaf Ruhl längst mehr als ein Beruf, es ist seine Berufung geworden. Er erinnert damit an die Opfer der Naziverbrechen, die oft namenlos bleiben. Mit seiner Musik und seinen Texten baut er Brücken der Versöhnung. Und er tut dies immer und immer wieder.
Dafür gebührt ihm ein besonderer Dank. Für dieses beharrliche und nicht nachlassende Engagement wird Olaf Ruhl heute mit dem Frieda-Rosenthal-Preis geehrt. Herzlichen Glückwunsch!
Fotos
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