Krankenwohnungsangebote für Obdachlose in Berlin
PDF (33,8 kB) Kleine Anfrage: Krankenwohnungsangebote für Obdachlose in Berlin, Drucksache 16/13335
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgit Monteiro (SPD)
vom 26. Mai 2009 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Mai 2009) und Antwort
Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt:
1. Welche Bedeutung misst der Senat der pflegerischen medizinischen Versorgung wohnungsloser Menschen und Menschen ohne Krankenversicherung in Berlin zu?
2. Wie schätzt der Senat den derzeitigen Bedarf für die erforderliche Pflege dieser Menschen (einschließlich der Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus), z.B. für eine Nachbehandlung nach einer Akutversorgung im Krankenhaus oder nach einer ambulanten Versorgung, ein, damit ihre vollständige Genesung sichergestellt werden kann?
3. Warum wurde die von der Berliner Stadtmission betriebene Krankenwohnung in der Lehrter Straße im Sommer 2008 geschlossen?
4. Gibt es zurzeit Angebote für wohnungslose Menschen, die körperlich und/oder seelisch erkrankt sind und deren Erkrankung nicht ambulant behandelt bzw. weiterbehandelt werden kann, da z.B. nach einem Krankenhausaufenthalt nicht die übliche Entlassung in eine „Häuslichkeit“ erfolgen kann?
5. Wenn ja welche, wenn nein warum wurde es unterlassen, für Ersatzangebote zu sorgen?
6. Kennt der Senat die „Krankenstube für Obdachlose“ in Hamburg in Trägerschaft der Caritas, die seit 1999 erfolgreich arbeitet und aus Mitteln der Stadt und ergänzend durch Spenden finanziert wird?
7. Wie beurteilt der Senat dieses medizinische und pflegerische Angebot zur gesundheitlichen Stabilisierung und – durch Vernetzung mit anderen Angeboten und einen Sozialdienst – zur gesellschaftlichen Wiedereingliederung in einem stationären Rahmen für wohnungslose Menschen?
8. Stimmt der Senat mit mir darin überein, dass in Berlin solche Angebote dringend erforderlich sind?
9. Was unternimmt der Senat, um die medizinischpflegerische Versorgung von wohnungslosen Menschen und Menschen ohne Krankenversicherung, denen ambulant nicht geholfen werden kann, zu gewährleisten?
10. Kann nach Auffassung des Senats ein Angebot zur krankenpflegerischen Betreuung in bestehende Angebote der Wohnungslosenhilfe integriert werden?
11. Wenn ja, in welche und wie soll die Finanzierung erfolgen? Vorbemerkung: Wegen der bestehenden inhaltlichen Zusammenhänge und den sich aus der Historie ergebenden Entwicklungen werden alle gestellten Fragen in einem Gesamttext beantwortet.
Zu 1. bis 11.: Der pflegerischen und medizinischen Versorgung wohnungsloser Menschen mit und ohne Krankenversicherung wird seit vielen Jahren im Land Berlin eine große Bedeutung zugemessen.
Die Errichtung des Angebots „Krankenstation“ erfolgte im Jahr 1996 auf der Grundlage § 72 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), weil der Bedarf auf vorübergehende Pflege bei akuter Erkrankung – ohne eine vorliegende Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit – bei wohnungslosen Menschen bestand. Eine häusliche Pflege durch Sozialstationen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe konnte wegen der damaligen Häuslichkeitsdefinition im Sozialgesetzbuch V (SGB V) weder von den Krankenkassen noch über Hilfe zur Pflege gemäß BSHG finanziert werden.
Bei der Konzeptionierung 1995 wurde der Schwerpunkt für das neue Angebot auf die Verzahnung von ambulanter ärztlicher Versorgung und der Pflege sowie der qualifizierten Sozialarbeit innerhalb der Einrichtung, gelegt. Das inhaltlich definierte Ziel war damals schon mit entsprechenden Leistungen den Gesundheitszustand wohnungsloser Personen zu bessern bzw. zu stabilisieren und sie gleichzeitig an das soziale und gesundheitliche Regelhilfesystem anzubinden sowie ihre Vermittlung an andere Institutionen für weitergehende Hilfen anzustreben.
Mit dem Gesundheitsreformgesetz von 2004 wurde u. a. im SGB V die Definition der „Häuslichkeit“ dahingehend geändert, dass die häusliche Pflege seitdem in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe durch Sozialstationen erbracht werden kann und in der Praxis auch erbracht wird.
Dieses gilt für die Angebote bezüglich der Unterbringung zur Sicherung einer Unterkunft sowie für die der Leistungstypen „Betreutes Gruppenwohnen“, „Übergangshaus“ und „Kriseneinrichtung“ für den Personenkreis gemäß § 67 ff Sozialgesetzbuch XII (SGB XII). Für Menschen im „Betreuten Einzelwohnen“ ist die Erbringung von häuslicher Pflege auch schon vor 2004 möglich gewesen.
Außerdem erhielten mit Einführung des § 264 SGB V im gleichen Jahr alle Sozialhilfeberechtigten den Versichertenstatus bei einer Krankenkasse ihrer Wahl. Damit wechselte die Kostenträgerschaft für die häuslichen Pflegeleistungen vom Sozialhilfeträger zur jeweiligen Kranken- bzw. Pflegekasse.
Leistungsberechtigte nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) sind bei laufendem Leistungsbezug generell krankenversichert. Die meisten Wohnungslosen erhalten laufende SGB II-Leistungen. Das trifft auch für viele Menschen, die auf der Straße leben und eine Postadresse z. B. bei einer Beratungsstelle – gegenüber dem Jobcenter nachweisen, zu.
Für nichtversicherte Wohnungslose bietet das 7. Kapitel SGB XII Möglichkeiten die Kosten bei vorliegender Pflegebedürftigkeit zu übernehmen.
Mit den dargestellten Veränderungen sind die obigen Ziele, die mit dem Angebot „Krankenstation“ verbunden waren, nicht aufgegeben worden. Im Gegenteil, die Zahl der krankenversicherten Wohnungslosen hat sich erhöht und die Anbindung an die sozialen Leistungssysteme sowie die Motivation und Vorbereitung zur Inanspruchnahme weiterführender Hilfen kann kontinuierlicher erfolgen, da ein Einrichtungswechsel für den wohnungslosen Menschen vermieden wird.
Eine notwendige Pflege im Krankheitsfall ist in der Regel – im Gegensatz zu einer Wiedereingliederung in die Gesellschaft oder in das Erwerbsleben – eine kurzfristige Leistungsphase.
Das war an der über Jahre gleichbleibenden durchschnittlichen Verweildauer von 1,3 Monaten in der früheren „Krankenstation“ ablesbar.
Wohnungslose Personen, die keine sozialpädagogische Betreuung wünschen, können in Unterbringungseinrichtungen zur Sicherung einer Unterkunft ihre Erkrankungen mit ambulanter medizinischer und pflegerischer Versorgung in Ruhe – u.a. nach einem Krankenhausaufenthalt – auskurieren. Ein Verbleib über die Genesungsphase hinaus ist jederzeit möglich.
Damit ist auch für diesen Personenkreis ein niedrigschwelliger Zugang zur pflegerischen Versorgung im Zusammenhang mit den Gesetzesänderungen eröffnet worden.
Die „Krankenstation“ wurde, wegen stetig gesunkener Nachfrage über die letzten Jahren, von der Berliner Stadtmission 2008 geschlossen und die bestehende Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII mit der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung von Seiten der Berliner Stadtmission, Soziale Dienst gGmbH, gekündigt. Nach Aussage der Berliner Stadtmission sank die Belegung nicht, weil Sozialämter die Kostenübernahmen ablehnten. Es gab letztendlich keine Angebotsnachfrage mehr, da sich die Durchführung der pflegerischen Versorgung – durch die oben dargestellten Gründe – in andere Angebote der Wohnungslosenhilfe verlagert hatte.
Der Senat kennt das Angebot der „Krankenstube für Obdachlose“ in Hamburg und teilt – wie dargestellt – die Sicht der notwendigen Vernetzung. Er ist aber der Auffassung, dass die Zusammenarbeit von Sozialstationen und Anbietern von unterschiedlichen Wohnungslosenhilfeeinrichtungen im Land Berlin den wohnungslosen Menschen mit vorübergehendem Pflegebedarf – in Verbindung mit dem Ziel der Wiedereingliederung in die Gesellschaft – dienlicher ist, als ein gesondertes Angebot mit pflegerischer Schwerpunktsetzung und kurzzeitigen Aufenthaltsdauern.
Eine Abschätzung des Pflegebedarfs für Personen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität ist nicht möglich, da sich die nicht legale Zuwanderung naturgemäß einer statistischen Erfassung entzieht und somit keine verlässlichen Zahlenangaben vorliegen.
Berlin, den 17. Juni 2009
In Vertretung
Dr. Petra Leuschner
Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales
(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Juni 2009)