Der Sonderfahrdienst, die Statistik und das Nutzerverhalten – ist wirklich alles klar?
Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Monteiro (SPD)
vom 23. April 2007 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. April 2007) und Antwort
Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt:
1. Wie viele der in Berlin als schwerbehindert anerkannten Personen sind stark mobilitätsbehindert (Merkzeichen G und aG)?
Zu 1.: Zum 31. Dezember 2006 gab es in Berlin 150.940 Schwerbehinderte mit dem Merkzeichen „G“ = erheblich gehbehindert 28.038 Schwerbehinderte mit dem Merkzeichen „aG“ = außergewöhnlich gehbehindert.
2. Wie viele von ihnen haben eine Berechtigung zur Nutzung des Sonderfahrdienstes?
Zu 2.: Zum 31. Dezember 2006 waren insgesamt 32.249 Menschen mit Behinderung berechtigt, den Sonderfahrdienst zu nutzen (Merkzeichen „T“). Die Differenz zu den unter 1. genannten Schwerbehinderten mit dem Merkzeichen aG ergibt sich insbesondere durch Besitzstandfälle (über 80-jährige Personen) und Neuanträge.
3. An wie viele Berechtigte wurde eine Magnetkarte ausgegeben?
Zu 3.: Zum 31.12.2006 waren 17.178 Berechtigte im Besitz einer Magnetkarte.
4. Wie viele der Fahrdienstberechtigten sind berufstätig, und von welchem Kostenträger werden die Fahrten zur Berufsausübung übernommen? Wie viele Berufstätige nutzen einen eigenen, nach der Kraftfahrzeughilfeverordnung bezuschussten PKW?
Zu 4.: Fahrten zum Arbeitgeber werden mit dem Sonderfahrdienst grundsätzlich nicht durchgeführt. Für die Übernahme der Beförderungskosten anderer Fahrdienste zur Berufsausübung sind die originären Kostenträgern wie die Rehabilitationsträger (z.B. Bundesanstalt für Arbeit, Träger der gesetzlichen Rentenversicherung) aber auch das Integrationsamt (für Beamte und Selbstständige) zuständig. Angaben dazu liegen mir nicht vor.
5. Ist dem Senat bekannt, ob die berufstätigen Fahrdienstberechtigten den Sonderfahrdienst für Freizeitfahrten nutzen, obwohl sie über einen mit öffentlichen Mitteln geförderten PKW verfügen?
Zu 5.: Nein, bei der Durchführung des Berechtigungsverfahrens wird nicht geprüft, ob der Antragsteller im Besitz eines PKW ist.
6. Wie viele Fahrdienstberechtigte haben das reguläre Rentenalter erreicht, wie viele sind Frührentner bzw. leben von einer Erwerbsunfähigkeitsrente?
Zu 6.: Alter und Rentenversicherungsansprüche sind nicht Gegenstand des Berechtigungsverfahrens, daher können hierzu keine Angaben gemacht werden.
7. Wie viele erhalten Leistungen nach dem SGB XII?
Zu 7.: Von den 17.178 Magnetkartenbesitzern zahlen 2.187 Sonderfahrdienstberechtigte die ermäßigte Eigenbeteiligung und fallen daher unter die Bestimmungen des SGB II und SGB XII. 1.979 Sonderfahrdienstberechtigte sind von der Eigenbeteiligung befreit, da sie Heimbewohner sind und Taschengeld vom Sozialhilfeträger erhalten.
8. Wie wird gewährleistet, dass die Statistik nach Todesfällen von berechtigten älteren Personen zeitnah bereinigt wird, um eine differenzierte Planung des Fahrdienstes zu gewährleisten?
Zu 8.: Es findet ein Abgleich mit den Daten aus dem Sb-Online-Feststellungs-Verfahren (OSAV) statt.
9. Bekommen Verunfallte mit Aussicht auf baldige Genesung (z.B. nach einer Beinfraktur) auch heute noch die Fahrdienstberechtigung, obwohl es sich um keine Schwerbehinderung im Sinne der gesetzlichen Definition handelt? Welche Kriterien gelten bei temporärer Immobilität generell?
Zu 9.: Nein, eine temporäre Berechtigung zur Nutzung des Sonderfahrdienstes ist nach der Zweiten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes vom 22. Juni 2005 nicht vorgesehen. Personen, bei denen eine Krankenkasse oder ein anderer Leistungsträger aufgrund einer ärztlichen Verordnung die Kosten für einen Rollstuhl oder Rollator übernommen hat, erhalten auf Antrag für die Dauer des Feststellungsverfahrens, längstens bis zu einer Erstbescheidung im Verwaltungsverfahren über die Zuerkennung des Merkzeichens „T“, eine befristete Berechtigung (zum 31.12. 2006 = 2.596 Berechtigte).
10. Wie viele Fahrdienstberechtigte haben ein unter der allgemeinen Pfändungsgrenze liegendes Einkommen und wären somit berechtigt, den Härtefallfonds in Anspruch zu nehmen (zu beantragen o.ä.)?
Zu 10.: Generell sind alle Sonderfahrdienstberechtigten, die die ermäßigte Eigenbeteiligung bezahlen (siehe Frage 7), Härtefondsberechtigte. Da es im Land Berlin keine weitergehende Regelung für die Inanspruchnahme des Härtefonds gibt, hat sich die Härtefonds- und Ehrenamtskommission des Landesbeirates für Menschen mit Behinderung auf folgende generelle Anspruchsvoraussetzungen verständigt: Fahrdienstberechtigte mit einem Nettoeinkommen bis 500 € monatlich bekommen auf Antrag die erhöhte Eigenbeteiligung erstattet. Absolute Zahlen über diesen Personenkreis liegen nicht vor.
11. Warum erhalten Menschen ab dem 80. Lebensjahr automatisch eine lebenslange Fahrdienstberechtigung, wenn ihnen der Hausarzt einen Rollator verordnet, obwohl sie nicht das Merkzeichen aG haben? Warum erfolgt keine Begutachtung durch den ärztlichen Dienst des LaGeSo?
Zu 11.: Nutzer mit bereits vorhandener Sonderberechtigung, die das 80. Lebensjahr vollendet haben und bei denen eine Krankenkasse oder ein anderer Leistungsträger die Kosten für einen Rollator oder Rollstuhl übernommen hat und Personen, die sich im Heim befinden, das 80. Lebensjahr vollendet haben und auf Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind, erhalten unbegrenzt Bestandsschutz. Alle Personen, die einen Erstantrag stellen, müssen – unabhängig vom Alter- das übliche Berechtigungsverfahren durchlaufen.
12. Entspricht es den Tatsachen, dass die seit Anfang 2007 zur Verfügung stehenden Wagen für den Fahrdienst derzeit nur mit Mühe für die Durchführung der Daueraufträge ausreichen, sodass Spontanfahrten auch in solo oder doppelt besetzten Bussen nur noch mit Mietwagen über das Taxikonto, das der Senat in seiner Antwort auf die kleine Anfrage 15/13600 als „Überlaufventil“ bezeichnet hat, realisiert werden können?
Zu 12.: Seit Anfang Februar stehen alle Fahrzeuge, die zur Erfüllung der Lose aus dem Vergabeverfahren erforderlich sind, zur Verfügung. Dadurch hat sich die Situation insgesamt etwas entspannt, wenngleich es auch künftig zu Fahrtablehnungen kommen wird, da die Gesamtzahl der Fahrten aufgrund des zur Verfügung stehenden Kontingentes nur begrenzt ist. Auch wird es immer wieder zu bestimmten Zeiten zu Engpässen kommen, in denen die verfügbaren Fahrzeuge nicht ausreichen, um alle Fahrtwünsche zu befriedigen. Bedauerlicherweise werden seitens der Nutzer unverhältnismäßig viele Fahrtwünsche – bis zu 1/3 aller Fahrten – vor Fahrtantritt storniert, dabei ist es nicht immer möglich, diese ausgefallenen Fahrten in das System erneut einzupflegen und durch Spontanfahrten zu ersetzen mit der Folge, dass die Fahrzeuge oftmals ohne Auftrag bleiben. Sofern die Berechtigten den ÖPNV oder das Taxikonto nutzen können, sollte dies vorrangig erfolgen um nicht denjenigen, die auf die Solo- und Doppelbusse angewiesen sind, die verfügbaren Fahrtkontingente weiter einzuschränken. Als „Überlaufventil“ werden Teletaxen bezeichnet und nicht das Taxikonto, hierbei handelt es sich um zwei unterschiedliche Beförderungssegmente.
13. Ist dem Senat bekannt, ob alle Ehrenamtsfahrten von Menschen mit Behinderung unter diesen Umständen noch durchgeführt werden können?
Zu 13.: Alle Ehrenamtsfahrten werden durchgeführt.
14. Wann wird der Senat die mehrfach vorgebrachten Vorschläge von Betroffenenverbänden zur Vereinfachung der Ehrenamtsregelung, z.B. durch eine Kontingentlösung, aufgreifen?
Zu 14.: Die Ehrenamtsregelung wird von der Geschäftsstelle des Landesbeirates für Menschen mit Behinderung nach den Vorgaben der Arbeitsgruppe Härtefälle/Ehrenamt des Landesbeirates im Sinne der Förderung von ehrenamtlicher Tätigkeit angewendet.
15. Ist daran gedacht, den Einsatz von Solo- oder Doppelbussen – auch anderer Fuhrunternehmer – über das Taxikonto auszubauen und z.B. denjenigen, die die höhere Eigenbeteilung bezahlen, eine intensivere Nutzung des Taxikontos zu empfehlen, um so die wenigen Wagen, die über die WTB-Zentrale gebucht werden können, zu entlasten?
Zu 15.: Der Bereich Solo- und Doppelbusse ist abgegrenzt vom Taxikonto und wird weder organisatorisch noch finanziell vermischt. Für die Vergabe eines öffentlichen Auftrages an die Fuhrunternehmen ist die Durchführung eines Vergabeverfahrens zwingend erforderlich, daher können „andere Fuhrunternehmen“ nicht beauftragt werden, diese Leistung durchzuführen. Beim Taxikonto erbringen die üblichen (freien) Taxen die Beförderungsleistungen. (s. auch Beantwortung zu Frage 12)
16. Wie wird sichergestellt, dass die neuen Fuhrunternehmen, die wieder nur einen Vertrag über ein Jahr Laufzeit erhalten haben, alle notwendigen Investitionen in den Wagenpark vornehmen und ihr Personal ausreichend schulen, um zusätzliche Engpässe durch mangelhafte oder zu wenige Fahrzeuge sowie unzureichende Betreuung der Menschen mit Behinderung durch die Fahrer zu vermeiden? Zu 16.: Die Bedingungen zu Fuhrpark, Qualifikation des Personals und der Dauer des Leistungszeitraumes waren den Fuhrunternehmen aus der Leistungsbeschreibung zum Vergabeverfahren hinlänglich bekannt und wurden bei der Angebotsangabe und der Zuschlagserteilung berücksichtigt. Eine einseitige Option auf einmalige Verlängerung ist vertraglich vorgesehen.
Berlin, den 15. März 2007 In Vertretung Kerstin Liebich Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. März 2007)