Rede zur Bestellung neuer BVG-Busse ohne Rampe am vorderen Eingang.
Diese Rede zum Antrag der Piraten „Kein Rückschritt in Sachen Barrierefreiheit – zweite Rampe bei allen Eindeckerbussen wieder einführen“ habe ich auf der letzten Plenarsitzung am Donnerstag, 16. Oktober zu Protokoll gegeben.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
manche Wege sind lang. Manche Wege sind Irrwege.
Und manchmal ist der Weg wegen parkender Fahrzeuge oder nicht beräumten Schnees nicht befahrbar.
Wir wollen unser Ziel des barrierefreien Öffentlichen Personennahverkehrs trotz aller Schwierigkeiten erreichen.
Dabei helfen Erinnerungen.
Denn: Erinnerungen funktionieren wie Rampen, sie verbinden die Vergangenheit mit dem Heute und helfen dort, wo Denk- oder reale Barrieren verhindern, das Fahrtziel zu erreichen.
Erinnern wir uns also gemeinsam:
Im Jahr 1992 wurden die Behindertenpolitischen Leitlinien des Senats verabschiedet, in ihnen sind zwei Einstiegsmöglichkeiten für Rollstuhlfahrer in den rollstuhlgerechten Niederflur-Eindecker-Bussen festgeschrieben, eine an der Vordertür und eine zusätzliche Rampe an der Mitteltür.
An der Vordertür war damals noch eine Hubplattform vorgesehen, die sich als sehr störanfällig erwies, weshalb sie ab Mitte 1996 aus der Ausrüstungsliste, d.h. dem sog. Pflichtenheft, entfernt und stattdessen eine manuelle Klapprampe an der ersten und auch an der zweiten Tür aufgenommen wurde.
Diese Grundsatzentscheidung wurde in „15 Jahre Leitlinien zum Ausbau Berlins als behindertengerechte Stadt“ 2007 und in den Eckpunkten für den Nahverkehrsplan 2010-2014 fortgeschrieben.
Im Nahverkehrsplan 2010-2014 heißt es außerdem: „Das Thema Barrierefreiheit ist ein Querschnittsthema. Alle diesbezüglichen Maßnahmen und Standards des NVP 2010-2014 werden mit dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung und den Behindertenverbänden abgestimmt.“
Zu dieser Abstimmung dient u.a. die „AG Bauen und Verkehr – barrierefrei –„ in der Senatsverwaltung für Verkehr.
Hier wurde im April 2011 durch die BVG angekündigt, bei der nächsten Ausschreibung für neue Busse die vordere Rampe nicht mehr ins Pflichtenheft aufnehmen zu wollen.
Die Begründung lautete: damit gäbe es drei Sitzplätze mehr, die besonders mobilitätseingeschränkten Fahrgästen zugute kämen, die gerne vorne säßen.
Es gab sofort Widerspruch der Betroffenen.
Zeitgleich mit der Ankündigung der Abschaffung der 2. Rampe wurde das automatische Kneeling in Frage gestellt. Die Vertreter der Menschen mit Behinderten hatten also zur gleichen Zeit zwei Abwehrkämpfe zu bestehen, um Verschlechterungen des Istzustandes zu verhindern.
Wie beim Kneeling wechselten auch bei der Frage der Abschaffung der Rampe an der vorderen Bustür die Argumentationsmuster der BVG.
Wurden zuerst Interessen der mobilitätseingeschränkte Menschen zur Begründung angeführt, waren es im Juni 2012 dann sehbehinderte und blinde Menschen, die Einstieg und Sitzplatz an der vorderen Tür bevorzugen würden.
Schade, dass diese Argumentation der BVG nicht dazu führte, die ablehnende Positionierung zu Außenansagen an Bussen zu überdenken.
Der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin jedenfalls ließ sich nicht vereinnahmen und blieb bei seiner ablehnenden Haltung zur Abschaffung der vorderen Rampe.
Das Thema wurde bis Dezember 2013 insgesamt vier Mal in der „AG Bauen und Verkehr – barrierefrei – “ aufgerufen.
Jedes Mal gab es Widerspruch der Behindertenverbände und des Landesbehindertenbeauftragten.
Am 10. Dezember 2013 wurden die Anwesenden schließlich informiert, dass die neuen Busse ohne zweite Rampe inzwischen bestellt worden seien.
Wie lässt sich dieser Vorgang interpretieren?
Die BVG hat sich entgegen der Festlegungen im Nahverkehrsplan nicht mit den Verbänden und dem Landesbehindertenbeauftragten abgestimmt, sondern diese lediglich informiert.
Der Entwurf des Nahverkehrsplans 2014-2018 geht bereits auf den Wegfall der vorderen Rampe und die damit verbundenen Probleme ein. Er fordert „eine besondere Haltestellengestaltung und die Sicherstellung der Freihaltung der Haltestellenbereiche bzw. das Vorhandensein von Buskaps.“, um der durch den Wegfall der Rampe geänderten Situation gerecht zu werden.
Ich muss zugeben, ich bin sehr skeptisch, was die praktische Umsetzung dieser Festlegungen betrifft. Und mich interessiert die Positionierung der Verbände von Menschen mit Behinderung, die möchte ich gern im Ausschuss dazu anhören.
Ich sehe außerdem dringenden Handlungsbedarf bei den Mitbestimmungs- und Beteiligungsinstrumentarien für Menschen mit Behinderung sowie für die Etablierung eines geordneten Verfahrens der Entscheidungsfindung beim Auftreten von Zielkonflikten. Aus der in der Praxis seitens der BVG kaum beachteten Mitbestimmung muss eine Mitentscheidung werden.